BFH-Vorlagebeschluss zu § 2 Abs. 3 und § 10d Abs. 1 und 3 in der Fassung des Steuerentlastunggesetzes 1999/2000/2002

Oder: Wer schüttelt da am Watschenbaum? 10.02.2017 by hnowatzki

Wer sich die Mühe macht, hier und da einmal einen Vorlagebeschluss des BFH an das Bundesverfassungsgericht zu lesen, findet dort mitunter sehr erfrischende Ohrfeigen an den Gesetzgeber. So ist mir kürzlich der Vorlagebeschluss vom 06.09.2016 (XI R 26/04) in die Hände gefallen. Dort begründet der BFH, warum er die §§ 2 Abs. 2 und 10d Abs. 1 und 3 in der damals noch gültigen Fassung für verfassungswidrig hält.

(Diese Auffassung hatte ich übrigens bereits im Gesetzgebungsverfahren vertreten.).

Ich habe hier die schönsten Passagen zusammengestellt:

Inhalt und Systematik der Vorschrift erschließen sich bei hoher Fehleranfälligkeit allenfalls "mit subtiler Sachkenntnis, außerordentlichen methodischen Fähigkeiten und einer gewissen Lust zum Lösen von Denksport-Aufgaben"

Die Mindeststeuerregelung ist unverständlich, widersprüchlich, unpraktikabel und nicht mehr justiziabel. Der chaotische Wortlaut ist ein Paradebeispiel für die Verletzung des Gebots der Normenklarheit, eine Meisterleistung an Verschleierungskunst.

Eine gehäufte Verwendung sprachlich kaum abgrenzbarer unbestimmter Rechtsbegriffe, eine umfangreiche Textlänge, ein unübersichtlicher Gesetzesaufbau, ein unklarer Satzbau, eine Häufung und Stufung von Regel-Ausnahme-Techniken, Mehrfachverweisungen und widersprüchliche Rechtsfolgenanordnungen (…)

(…) sprachlich ungenaue bzw. unzutreffende, selbst vom Fachmann kaum noch zu differenzierende Begriffe bzw. Wortkombinationen für unterschiedliche Berechnungsgrößen

Der Gipfel der gesetzgeberischen Meisterleistung ist der 138 Wörter lange Satz 6 der Vorschrift.

Der Gesetzesaufbau ist unvollständig, unübersichtlich und unsystematisch.

Die Sätze 6 und 7 erschließen sich aufgrund der vielfältigen Verweisungen auf mehrgliedrige Sätze, (…) und der unterschiedlichen sprachlichen Ausgestaltung selbst dem ausgewiesenen Fachmann "erst nach stundenlangen Überlegungen in Umrissen"

Mit zunehmender Verweisungsdistanz wird die Gesetzesformulierung ungenauer. Es fehlt an sprachlicher und rechtssystematischer Abstimmung

Die gute Nachricht:

Der Gesetzgeber hat das schließlich erkannt. Unter § 2 Abs. 3 EStG steht heute nur noch ein Satz:

 „Die Summe der Einkünfte, vermindert um den Altersentlastungsbetrag, den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende und den Abzug nach § 13 Absatz 3, ist der Gesamtbetrag der Einkünfte.


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